Klaus Blessing Walter Siegert
Wie sich Herr Schröder illusionär arm rechnet
Eine Erwiderung auf den Artikel von Richard Schröder in der Zeitung „DIE WELT“ vom 18.7.2019 unter dem Titel: „Wie sich die DDR illusionär reich rechnete.“
Die Aufgabe von Theologen ist es, Glauben an das zu vermitteln, was sie nicht beweisen können. Das ist ihre Mission seit Menschen Gedenken mit verheerenden Folgen. Problematisch wird es, wenn Glauben als Wissen ausgegeben und mit dem Pathos verkündet wird, unumstößliche Wahrheiten zu vermitteln. Genau das zelebriert Richard Schröder im genannten Artikel. Die Redaktion adelt das Machwerk „Unser Autor widerlegt die Mär von der „Schuldenlüge“.
Schauen wir uns die „Widerlegung“ eines komplizierten und heiß umstrittenen wirtschaftlichen Problems durch den „exzellenten Kenner der Ökonomie“ im Allgemeinen und der DDR-Wirtschaft im Besonderen etwas näher an.
Theologe und Philosoph Schröder entwickelt für sein ökonomisches Glaubensbekenntnis einen neuen philosophischen Begriff: „Die Behauptung, die DDR sei 1989 nicht pleite gewesen, ist richtig aber nicht wahr.“ Wir sind zwar keine Philosophie-Professoren, wenn uns unsere bescheidenen Kenntnisse aus dem Philosophiestudium jedoch nicht täuschen, ist eine Aussage dann wahr, wenn sie richtig ist – oder auch umgekehrt.
Eine plausible Gesamtanalyse der wirren und verwirrenden Aussagen von Herrn Schröder ist wegen dieser „brillanten Philosophie“ nicht möglich. Da der Verfasser seine Meinung auf einen unentwirrbaren Knäuel von angelesenen Einzel-Aussagen aus Wahrheiten, Halbwahrheiten, Verdrehungen und Verleumdungen stützt, diese als bewiesene Wahrheiten verkauft, untersuchen wir zunächst den „Wahrheitsgehalt“ einiger seiner Behauptungen – und zwar belegt mit authentischen Quellen.
Erstens: Schröder: „Das Ko-Ko-Imperium von Schalck-Golodkowski wurde gegründet, um das Verbot des Exportes militärstrategisch relevanter Hochtechnologie trickreich zu umgehen.“
Der Gründungsbeschluss für den Bereich KoKo – Verfügung des Ministerrates der DDR vom 1. April 1966 – besagt: „Durch den Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel ist die einheitliche Leitung …… mit dem Ziel der maximalen Erwirtschaftung kapitalistischer Valuten außerhalb des Staatsplanes zu sichern.“ Das hat Schalck ohne jegliche staatliche Kontrolle in einem Umfang getan, der zeitweise fast die Höhe des planmäßigen Außenhandels der DDR mit kapitalistischen Staaten erreichte. Herr Schröder meint, dass ein solches Vorgehen „nur in Diktaturen möglich sei.“
Zweitens: Schröder: „Ob ein Staat 19 oder 49 Mrd. Schulden hat, ist unerheblich. Entscheidend ist, ob er Zinsen und Tilgung pünktlich zahlen kann…. Und dafür standen keine weiteren Produkte zur Verfügung.“
Der erste Teil der Aussage stimmt. Im zweiten Teil will Herr Schröder suggerieren, dass die DDR eben doch pleite war, da sie nicht pünktlich zahlen konnte.
Deutsche Bundesbank: „Am Ende 1989 lagen die Liquiditätsreserven der DDR immer noch bei 29 Mrd. VM und deckten 59,3 % der Verschuldung ab.“[1]
Hans Modrow: „Gerhard Beil – Außenhandelsminister sagte mir immer: `Hans, Du kannst Dich darauf verlassen, wir sorgen dafür, dass die DDR kreditwürdig bleibt.` Die DDR war nicht pleite und brauchte kein Geld, um Löhne und Gehälter und Renten zu zahlen und den Betrieb des Staates aufrecht zu erhalten.“[2]
Staatspleiten – zumindest zeitweise – können wir heute in vielen kapitalistischen Ländern erleben – von USA bis Griechenland – wenn Staatsbedienstete wochenlang auf ihr Geld warten, Renten und Löhne nicht ausgezahlt werden, Bankautomaten kein Geld mehr ausspucken.
Die DDR war nie pleite. Die Pleite des Ostens trat nach dem Beitritt zum Westen ein: Absturz der Wirtschaft um 45%, der Industrie um 65%, Rückgang der Erwerbstätigen um über 2 Millionen Menschen, Auswanderung von über 3 Millionen DDR-Bürgern in „den goldenen Westen“, Anhängen des Ostens an den Tropf westdeutscher Transferzahlungen.
Drittens: Schröder: „Devisenschulden konnten nur durch Exportsteigerungen bedient werden. Und dafür standen keine weiteren Produkte zur Verfügung. .. Man riss ja gepflasterte Straßen auf und asphaltierte sie, nur um die Pflastersteine für eine DM pro Stück dem Westen … zu verkaufen.“
Exportstruktur der DDR in „Westliche Industrieländer“ 1989: Maschinen und Transportausrüstungen 31,9 %, Fertigerzeugnisse 21,6%, Chemische Produkte 13,1 %, Rohstoffe und Brennstoffe 12,1 %, Nahrungsmittel 10,9 %.[3] Pflastersteine sind darin nicht enthalten.
Viertens: Schröder: „Wie konnte die DDR 1989 ihren Bankrott vermeiden? Schürer schildert die angewandten Tricks. Hier nur einer davon: `Wir haben Kredite für Investitionen erhalten, die wir aber noch nicht eingesetzt hatten. Die wurden zwischenzeitlich auf ausländischen Banken angelegt und erschienen dadurch als Guthaben, obwohl es eigentlich Kredite waren.` Die DDR unterhielt bei ihrem Spiel Verbindlichkeiten zu 600 ausländischen Banken. Da sah im Westen wohl niemand mehr ganz durch.“
Offensichtlich sieht Herr Schröder nicht ganz durch. Dass nicht verbrauchte Kredite Guthaben sind, ist jedem Kaufmann geläufig. Dass diesen Guthaben auf der anderen Seite der Bilanz „Verbindlichkeiten“ gegenüber stehen auch. Der Abschussbericht der Bundesbank über die Verschuldung der DDR – auf den wir abschließend eingehen – weist Nettoschulden aus – also die Differenz zwischen Guthaben und Verbindlichkeiten. An dem „Spiel“ ist also nichts Anrüchiges oder Trickreiches zu finden.
Egon Krenz erklärt dazu: „Die Autoren der Analyse (des „Schürer-Bericht“) hatten die Höhe unserer Auslandsverpflichtungen zweckdienlich stark dramatisiert und unsere Guthaben nicht berücksichtigt, die der Bereich Kommerzielle Koordinierung erwirtschaftet hatte. Sie wollten damit die politische Führung zwingen, sparsamer mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen.“[4]
Fünftens: Schröder: „Die Altfunktionäre – Schröder bezieht sich auf eine Veranstaltung bei „Rohnstock-Biografien“ vom 23. Mai 2019 mit Wirtschaftsfunktionären der DDR – rechneten vor, dass den 19 Mrd. DM Schulden doch erhebliche Guthaben der DDR gegenüber Entwicklungsländern gegenüber standen.“
Da bringt der Herr Schröder wohl etwas durcheinander. Es geht nicht um „Entwicklungsländer“ – mehrere von ihnen wurden unter NSW-Ländern verrechnet – z.B. Jugoslawien, China, Kambodscha, Mozambique – sondern um RGW-Länder, Länder die über die IBWZ (Internationale Bank für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Moskau) abgerechnet wurden.
Der Stellvertretende Minister für Außenhandel – zuständig für den Bereich RGW – Dietrich Lemke resümiert:
„Als die Konten der Staatsbank der DDR bei der Internationalen Bank für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (IBWZ) in Moskau zum 31. 12. 1990 geschlossen wurden, ging auf die Bundesbank der Bundesrepublik Deutschland ein Transfer-Rubel-Guthaben von etwa 10 Milliarden Transfer-Rubel über. In Valutamark und Deutschen Mark bewertet, hatte Deutschland Ende 1990 Guthaben bei der IBWZ von etwa 23,4 Mrd. DM …
Dabei handelte es sich um ein für Warenlieferungen in ordentlicher Qualität tatsächlich angefallenes, nicht unfair bewertetes und von der DDR ehrlich erworbenes Guthaben. Die Summe von 23,4 Milliarden DM soll noch einmal allen denen aufs Butterbrot geschmiert werden, die sich nicht genug darüber erregen können, dass die DDR Ende 1989 gegenüber dem NSW mit netto 19,9 Milliarden Valutamark = DM verschuldet war.“[5]
Nochmals Egon Krenz: „Daraus ergibt sich, dass die DDR unterm Strich weder überschuldet noch überhaupt verschuldet war.“
Die von der DDR erwirtschafteten und in Besitz der BRD über gegangenen Guthaben nutzte diese vorrangig, um durch „Schuldenerlass“ östliche Länder zum EU-Beitritt zu ködern.
Sechstens: Schröder: „Die Sowjetunion hat die DDR gedrängt, ihre Favoriten in der sogenannten Dritten Welt zu beliefern, egal ob sie auch bezahlen (können)…. In Wahrheit ging es um sowjetische Globalpolitik im Kalten Krieg – die diesmal die DDR bezahlen sollte.“
Der Theologe Richard Schröder hat offenkundig eine eigene Vorstellung von Solidarität und „Christlicher Nächstenliebe“. Geistig und finanziell angekommen im kapitalistischen System der freien Marktwirtschaft zählen bei ihm darin natürlich nur Geld und Profite. Die Entwicklungsländer dienen heute als billige Rohstoff- und Arbeitskräftequelle und profitabler Absatzmarkt. Die Armut vertreibt Millionen Menschen aus ihren Heimatländern, Tausende sterben, Aber-Tausende landen in Menschen unwürdigen Lagern.
Für die sozialistisch orientierte DDR – und Großteile ihrer Bevölkerung – war internationale Solidarität mit Entwicklungsländern und ihrer Bevölkerung ein Markenzeichen der Politik, um deren eigene Wirtschaft zu stärken. Auch wenn nicht alles bezahlt wurde.
Siebentens: Schröder: „Bis zu den freien Volkskammerwahlen und noch einige Zeit danach war das Schürer-Gutachten in Bonn unbekannt…. Kohl hat nicht mit dem Schürer-Papier gewedelt, sondern erklärt, Geld gebe es für die DDR erst nach freien Wahlen in der DDR… Ich bin dem Bundeskanzler übrigens dafür dankbar.“ Letzteres ist nachvollziehbar.
Millionen Ostdeutsche, die mit Kohls leeren Versprechungen über „blühende Landschaften“ , dass „es keinem schlechter gehen werde“ und der harten DM für diese „freien Wahlen“ geködert wurden, inzwischen jedoch Existenz und Heimat verloren haben sind ihm heute gar nicht mehr dankbar.
Und ob Herr Kohl „gewedelt“ hat oder nicht, ist auch völlig unerheblich.
Von Kohl wurde Politik gemacht und die hieß: Die DDR muss weg. Staaten, die man einverleiben will, gibt man kein Geld für deren Weiterbestehen.
Der „Erfinder der Währungsunion“ Thilo Sarrazin plaudert aus, um was es ging: „Es ging in diesen Monaten darum, die DDR in einer Weise zu binden, die nicht mehr aufgehoben werden konnte. Denn es stand doch die große Gefahr eines „dritten Weges“ im Raum. Die DDR als weiterer Staat deutscher Zunge. Es kam darauf an, in diesen Monaten vollendete Tatsachen zu schaffen.“[6]
Achtens: Schröder: „Warum verlangte Modrow 15 Mrd. DM?“
Antwort: Weil die DDR seit ihrer Gründung vom Westen durch einseitige Reparationen, Abwerbung und Abwanderung von Millionen arbeitsfähiger Menschen, Embargo und “ innerdeutschen“ Handel um Billionen DM ausgeplündert wurde. Hans Modrow wollte einen kleinen Bruchteil davon zurück.
Allein die Schulden aus den einseitigen Reparationszahlungen beziffert der westdeutsche Professor Arno Peters so: „Es war folgerichtig, die Reparationsfrage nach dem Fall der Mauer wieder aufzugreifen. Sie taten das noch 1989 und starteten einen neuen Anlauf zum Lastenausgleich an die DDR. Nun legten sie Berechnungen der westlichen Schuld mit Zins und Zinseszins vor, wobei sie auf einen Gesamtsumme von 727 Milliarden Mark kamen.
„Sie“: Das war die Bremer Initiative, an der sich 55 Professoren der Bremer Universität und fünf Senatoren der Hansestadt beteiligten, darunter auch der Bürgermeister Dr. Scherf. Kurt Biedenkopf unterstützte den Vorschlag ebenfalls.“[7]
Kurt Biedenkopf: „Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass wir, wenn wir jetzt der DDR Ressourcen zur Verfügung stellen, das nicht unter der Überschrift `Hilfe` oder gar `altruistische` Hilfe subsummieren können, sondern dass es für uns eine Verpflichtung gibt.“[8]
Damit kommen wir zur Schröder`schen Gesamtaussage von der „richtigen, aber nicht wahren“ Behauptung, die DDR sei nicht Pleite gewesen. Um jeglichen Anstrich einer ideologisch von Altkadern der DDR gefärbten Antwort zu entgehen, zitieren wir aus dem Abschlussbericht der Deutschen Bundesbank von 1999:
„Die Schwäche der außenwirtschaftlichen Statistiken der DDR lag darin, dass sie nicht alle Aktivitäten der KoKo-Unternehmen, der Sonderfonds und der Banken außerhalb des Wirtschaftsplanes erschlossen. Dadurch stellte sich für die DDR-Verantwortlichen diese Entwicklung freilich erheblich bedrohlicher dar, da ihnen überhöhte Zahlen der Verschuldung und des Schuldendienstes vorgelegt wurden….
Bei der Bruttoverschuldung stiegen die Verbindlichkeiten unter Schwankungen bis Ende 1989 auf 48,8 Mrd. VM. …. Netto, das heißt nach Abzug der Devisenreserven, erreichte die Verschuldung gegenüber westlichen Ländern … Ende 1989 …19,9 Mrd. VM.“[9]
19,9 Mrd. VM entsprachen zum damaligen Kurs rund 12 Milliarden Dollar, das waren annähernd 750 Dollar je Einwohner der DDR. Eine Größe von der heute die meisten Länder der Welt nur träumen können.
Die zuletzt dokumentierte Netto-Auslandsverschuldung der Weltmacht USA[10] betrug Anfang des Jahres 2018 ca. 8 Billionen US-Dollar. Das entspricht 24.000 US-Dollar je Einwohner! Unter Trump ist sie mit Sicherheit weiter gestiegen.
Resümee zum Schröder-Artikel: Die „Schuldenlüge“ ist nicht widerlegt, sondern bestätigt.
Der Artikel von Richard Schröder ist ein Armutszeugnis. Es ist der hilflose Versuch, die DDR auch 30 Jahre nach ihrem Untergang ökonomisch zu verleumden und zu delegitimieren. Wie groß muss die Angst vor einer gesellschaftlichen Alternative sein, wenn derartige unhaltbare und ungeprüfte Spekulationen veröffentlicht werden.
Die Autoren
Klaus Blessing – Dr. oec.
ehem. Staatssekretär im Ministerium für Metallurgie der DDR
Buchautor und Publizist
Walter Siegert
Dr. oec.
Staatssekretär und zeitw. Minister für Finanzen der DDR
Beide Autoren sind am aktuellen Buch „Wer verkaufte die DDR?“ edition berolina beteiligt, das umfassende und dokumentierte Aussagen zur Thematik trifft.
[1] Deutsche Bundesbank August 1999 „Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 1975 bis 1989.“
[2] „In Verantwortung – Hans Modrow und der deutsche Umbruch 1989/90“Herausgeber Oliver Dürkop und Michael Gehler – Studien-Verlag Innsbruck; Wien, Bozen
[3] Statistisches Jahrbuch der DDR 1990 – Rudolf Haufe Verlag Berlin
[4] Egon Krenz „Wir und die Russen“ edition ost, Berlin 2019 Seite
[5] Dietrich Lemke „Handel & Wandel Lebenserinnerungen eines DDR-Außenhändlers 1952 – 1995“, Eigenverlag, Ein-Band-Fassung Berlin 2010, Kapitel „Wie gewonnen, so zerronnen“,
[6] Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Juli 2010
[7] Auszug aus dem Interview mit Prof. Arno Peters Neues Deutschland vom 25.6.1994
[8] Kurt Biedenkopf ND-Interview vom 2./3. Dezember 1989
[9] Deutsche Bundesbank August 1999 „Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 1975 bis 1989.“
[10] www.aktiencheck.de vom 21.1.2018: US-Auslandsverschuldung weiterhin bei rund USD 8000 Mrd.
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